Das Paradies brennt

Interview aus dem Buch: Das Paradies brennt von Veit Grünert, 2015



"Hier ist die Hölle. Wir haben es nur evolutionstechnisch geschafft uns darin einzurichten"



Experiment B:
Du ziehst ein ins Paradies und dort wäre für jegliche Versorgung und allerlei Komfort gesorgt. Man müsste sich um nichts Gedanken machen. Wie sieht es dort aus?

Dass man sich da wohl fühlt, ein Wohlfühlort: Wellnessoase forever. Also das christliche Paradies. Aber wenn ich mir dann vorstelle, dass alles gut und alles toll ist, wie soll ich denn da noch unterscheiden? Ich brauche ja Gut und Schlecht. Ein Paradies, wo kein Schlecht drin steckt, wie soll das funktionieren? Da drehe ich durch. Ich brauche Dualität. Ich muss wissen, was schlecht ist, aber wenn es nichts Schlechtes mehr gibt, ist das nicht langweilig? Ewig auf der Wolke Harfe spielen? Und dann auch noch ewig?

 

Man lebt und weiß, dass das Leben irgendwann endet und trotzdem habe ich immer das Gefühl, ich bin unsterblich. Das ist ein Widerspruch und ich weiß, dass das nicht so ist, aber vom Gefühl und meiner Einstellung her denke ich das und frage mich dann: Warum ist das so? Ich kenne ja nur das Leben. Ich kann mir irgendwas über Tod und »Etwas danach« vorstellen, aber das habe ich ja nicht erlebt. Ich kann immer nur darauf zurückgreifen, was ich kenne. Deswegen ist mein Paradies das hier. Der Ort, an dem man meint sich wohlzufühlen. Jeder schleppt was anderes dort hin.

 

Bei der Vorstellung vom Tod oder Leuten, die gestorben sind sagt man immer: Man sieht sich wieder. Das sieht man in ganz vielen Filmen, aber da weiß ich gar nicht, ob ich da Böcke zu hab’! Und wie sehen die aus? Meine Mutter ist mit 65 an Krebs gestorben und der Krebs zehrt einen aus. Die war recht pummelig, am Schluss war die spindeldürr und nur noch ein Skelett. Und so möchte ich die gar nicht treffen. Welche Erscheinungsform hast du da? Wir haben uns auch schon so viel gewandelt: Man war mal ein Säugling, da hat man komplett anders ausgesehen als mit 6 Jahren, mit 12, als mit 25... Ich weiß gar nicht, was das soll. Und ohne Körper, kann ich mir auch nicht vorstellen.

 

Für mich gibt es nach dem Tod nichts. Da brauche ich kein Hirn oder irgendein Konstrukt wie einen Körper, das dann reflektieren kann und versucht rauszukriegen, wo es gelandet ist. Ich empfinde es eher so, dass man sagt: Das hier ist die Hölle. Wir haben es nur geschafft uns evolutionstechnisch darin einzurichten. Diese Vorstellung finde ich schöner. Meine Wohnung: Paradies – Draußen: Hölle.

 

 

Was ziehst du aus deinen angesammelten Dingen?

Ich personifiziere gerne Sachen. Wenn ich das Glas sehe, denke ich mehr an die Minnie-Maus, als an das Glas. Gerade diese Disney-Figuren sind seltsame Phantasie-Konstrukte: Die haben keinen Sex, komische Familienverbindungen... Der Schwachsinn pur. Eine Gegenwelt, zu was? Und warum? Aber als Kind ist dir das scheiß egal. Die erleben irgendwas und ich weiß bis heute nicht, was für eine Identifikation ich damit hatte. Ich fühle mich nicht wie Mickey Maus, also null. Wir haben eine Zeit lang in Süd-Amerika gelebt und da gab es einen Comic-Kanal für Kinder, den gab es in Deutschland in den 60ern nicht. Und da haben wir viel geguckt, ein Zeichentrickfilmchen nach dem anderen. Vielleicht war es das? Ich frage mich auch bei meinem Neffen mit diesem WoW und der Generation, die mit den Computer­spielen aufgewachsen ist, denn einen Großteil ihrer Zeit verbringen sie darin und ob danach dann ein Großteil ihrer Erinnerungen dadurch besetzt ist.

 

 

Für mich war meine Kindheit eine tolle Sache. Ich hatte zwar die Gläser nicht und wenn, dann ganz selten mal eines. Aber Dank eBay! Diese Gläser sind zum Beispiel aus den 70ern. Die stellen sie jetzt gar nicht mehr her und die gab es auch nur in Amerika. Ich wusste vorher gar nicht von deren Existenz, bis ich die bei eBay entdeckt habe. Denk dir das Motiv einmal weg. Ich finde, die sind für ein Glas stabil, stehen gut, lassen sich gut greifen und es hat viel Platz. Ich mag auch das Konische und bei so einem Sekt- oder Weinglas musst du beim Spülen so aufpassen. Ich finde die enorm praktisch. Vor allem weil die beim Umgehen und Spülen nicht so schnell kaputt gehen.

 

Welche Geschichten stecken hinter diesen Objekten?

Zeichentrick gab es in Deutschland vielleicht einmal im Jahr um Weihnachten herum als Zusammenschnitt, aber es gab Mickey-Mouse- oder Comic-Hefte und das war einmal die Woche ein Highlight. Als Kind ist man auch nicht wirklich blöd: Die haben Unmengen von Zeichnern, die sie aber nicht benannt haben. Du guckst dir die Heftchen und Figuren an und siehst, die sind unterschiedlich gezeichnet. Weil wir die Namen nicht wussten, haben wir gesagt: »Oh da ist wieder eine Geschichte von dem guten Zeichner.« Der hieß dann einfach »Der gute Zeichner« und dann hat man sich gefreut. Das passierte alle sechs Wochen ein Mal. Ich spreche jetzt von vor vierzig Jahren. Und so ungefähr vor 15 Jahren, als Comics irgendwann als Kunst oder eigenständiges Etwas akzeptiert wurden, fingen die Disneys an auch ihre Comics herauszubringen, wo sie endlich ihre Zeichner benannt haben. Da hat man endlich mal die Namen erfahren von den Zeichnern, die du früher als »Die Guten« bezeichnet hast. Und jetzt kann man die komplett am Stück kaufen, die sogenannten »guten Geschichten« von damals.

 

Macht dich der Besitz glücklich?

Ja. Alle zwei Jahre schnappe ich mir mal ein Heft und gucke rein. So sieht die Realität aus. Es macht mehr glücklich zu wissen, sie zu haben und immer die Option zu haben, hinein zu gucken. Es ist wie eine materialisierte Erinnerung, die ich als Kind haben wollte und es nicht gab. Das ist ulkig – jetzt als alter Mann. Welches Kind interessiert sich heute noch für Donald Duck? Das geht gar nicht.

 

Macht Besitz im Allgemeinen glücklich?

Das ist schwierig – Ich muss »Ja« sagen, ich will auch »Ja« sagen. Ich frage mich nur, warum. Warum nicht »Nein«? Das was ich sammle sind Erinnerungen an meine Kindheit, diese wiederum machen mich glücklich. Das ist diese Wechselwirkung, von der ich meine, dass es das ist, sonst hätte ich sie nicht.

 

 

In der Küche habe ich noch weitere Erinnerungsträger: Kaba! Als wir aus Süd-Amerika 1966 zurück kamen sind wir nach Baden-Württemberg in eine Siedlung gezogen und in dieser Siedlung gab es ein Einfamilienhaus, das unten so eine Art Krämerladen hatte. Da ist meine Mutter ab und zu zum Einkaufen hingelaufen und hat uns mitgenommen. Das, was du hier siehst, sind Hampelmann-Werbefiguren. Wenn du dir damals einen Kaba gekauft hast, hattest du mal ein Beinchen oder ein Ärmchen im Kaba. Immer nur ein Teilchen. Das war ein bisschen kompliziert. Und da oben, dieser Wumba-Wu, den wollte ich immer haben. Der stand draußen auf einer Werbetafel und ich erinnere mich immer noch an diesen Spaziergang mit meiner Mutter dort hin. Das ist eine schöne Erinnerung. Und jetzt Dank eBay, gebe ich einfach »Kaba« ein, und was kriege ich? Man konnte sie kaufen. Alle auf einmal! Für sechzig Euro! Jetzt als alter Mann, Geld kann man aus dem Fenster schmeißen... Ja, Kaba macht glücklich.

 

Vielleicht hat das auch mit dem Älterwerden zu tun. Wenn du jung bist, hast du noch nicht so viele Erinnerungen. Man könnte auch fragen: Alter Mann, wieso brauchst du das? Das ist eher ein Zufallsding durch dieses eBay. Die Gläser einzeln zu verschicken ist zu teuer, da nimmt man dann einen ganzen Satz, aber dann hast du auch ganz viele. Anders war es bei den Tassen. Das war ein richtiges Suchtverhalten. Gewesen, weil sie haben den Henkel gewechselt und jetzt habe ich kein Interesse mehr. So einfach ist es. Doof ist, wenn eine kaputt geht. Das ist schwierig sie noch einmal zu bekommen.

 

Kann man über Objekte oder Gegenstände einen Charakter beschreiben?

Wie willst du einen beschreiben, der scharf darauf ist Comics auf Gläsern und Tassen zu haben? Und sich Kaba-Hampelmänner von Disney an die Wand hängt? Sag mir mal, was das deiner Meinung nach für ein Charakter ist! Reicht das? Ne, oder? Einen Fünf- oder Zehnjährigen hast du vor dir, wobei man sich dann fragen müsste: Wie kommt das Kind zu dieser Masse von Dingen? Ich denke, dass du nur eine Richtung kriegst, aber welche?

 

Ich muss noch eine Story loswerden: Ich hatte einen Zwillingsbruder und als wir klein waren, haben wir selber Comic-Figuren gemalt. Natürlich hat man angefangen Mickey Mouse nachzumalen und danach haben wir aber angefangen selber irgendwas zu zeichnen. Eine Zahnpastatube hat dann ein Gesicht, Ärmchen und Beinchen gekriegt – Gegenstände und Pflanzen, alles wurde personifiziert. Dann hatten wir uns immer verschiedene Zeiten ausgesucht: Je nach Mittelalter, Gegenwart oder Zukunft haben sie die Kostümchen angekriegt. Wir haben die von vorne und von hinten gezeichnet, ausgemalt und ausgeschnitten und die meistens pärchenweise in kleine Papier­schiffchen geklebt. Wenn wir dann eine halbe Plastik­tüte voll hatten, haben wir die zum Fluss geschleppt und schwimmen lassen. In unserer Vorstellung war das bei einer Welle oder Strudel so, dass wenn es untergeht, wir uns dann gedacht haben: Das ist deren Art zu sterben. Eigentlich haben wir uns gedacht, dass es Feen gibt, die ihnen Leben verleihen und dieser Fluss fließt in irgendein Meer, wo es einen ganz speziellen Strudel gibt. In den fahren sie ein und werden irgendwo im Universum, auf irgendeinem Planeten, genau zu ihrer Zeit, wiedergeboren und dort lebendig. Den Job, den sie dort haben, ist, für das Gute auf dieser Erde zu sorgen. Im Alter von 9 Jahren! Das ist aus einer puren Religion ausgedacht. Das haben wir aber nicht als das empfunden. Wir haben überhaupt nicht an Religion gedacht, sondern einfach nur versucht, denen Leben einzuhauchen. Uns hat gestört, dass die nur aus Papier waren. Aber in der Phantasie konnten die lebendig werden und das war nun einmal der Weg dahin. Das haben wir wie besessen gespielt, bis zur Pubertät und dann wurde es peinlich.

 

Aber dieser Drang nach dem Personifizieren und Vermensch­lichen ist wirklich ulkig. Ich sehe auch Menschen nicht als die Krone der Schöpfung. Das ist eine von vielen Varianten, anscheinend mit der Fähigkeit »Selbstreflexion«, aber was die Natur damit will, checke ich nicht. Das Phänomen »Religion« ist für mich ein rotes Tuch. Das ist Mystik, die du nicht beweisen kannst, aber wo die Leute dran glauben und das wiederum wie eine Realität behandeln. Wenn man sich anschaut, was gerade mit der »IS« abgeht, die bringen Leute um. Und das sind Millionen von Menschen. Ich dachte, das wäre seit dem Mittelalter weg, aber nein, das passiert jetzt. In meiner Gegenwart.


Ich danke Veit Grünert vom Bureau Now, dass ich das Interview hier veröffentlichen darf!

Anliegen

Das ist eine Internetpräsenz um den unvergesslichen Wolli ein kleines Denkmal zu setzen.


Idee, Umsetzung und Kontakt:
Ursula Leitner
München
info@ursula-leitner.de

News

"Das Paradies brennt"
Umfangreiches Interview aus 2015 mit Veit Grünert
Zum Interview  »



Sehr schöner Artikel in der Art Aurea
Ausgabe 43
Erinnerungen an einen Schmuckkünstler,
der seine Berliner Wohnung in ein
Gesamtkunstwerk der Pop-Art verwandelte.
Zu der Zeitschrift Art Aurea »

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